Preußen by Clark Christopher

Preußen by Clark Christopher

Autor:Clark, Christopher
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-10-07T16:00:00+00:00


Apotheose des Staates

Im Jahre 1831 hatte das Königreich Preußen 13.151.883 Untertanen. Von diesen lebten etwa 5.430.000 (oder grob 41 Prozent) in den Provinzen Sachsen, Rheinland und Westfalen – Regionen, die erst 1815 preußisch geworden waren. Wenn man die Bewohner des Großherzogtums Posen hinzufügt, das erst 1815 an Preußen »zurückgegeben« worden war, dann steigt der Anteil der neuen Preußen auf fast 50 Prozent. Aus ihnen preußische Bürger zu machen, war keine leichte Aufgabe. Dieses Problem betraf nicht etwa allein Preußen – auch Baden, Württemberg und Bayern waren aus den Wirrungen der Napoleonzeit mit beträchtlichen Gebietsgewinnen hervorgegangen. In diesen Staaten wurde die Integration neuer Untertanen jedoch durch die Schaffung von Landesparlamenten und die Durchsetzung einer einheitlichen Verwaltungs- und Justizstruktur erleichtert. Preußen hingegen bekam weder ein »nationales« Parlament noch eine »nationale« Verfassung.

Auch mit Blick auf die Verwaltung blieb das Königreich ein Flickenteppich. Es gab immer noch kein einheitliches gesetzliches Gerüst. Die Berliner Verwaltung versuchte in den zwanziger Jahren, das System nach und nach zu homogenisieren, doch das rheinländische (also napoleonische) Recht blieb weiterhin in den westlichen Provinzen in Kraft, mit der Folge, dass Kandidaten für die dortige Richterschaft auch dort ausgebildet werden mussten. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts existierten neben dem Geheimen Obertribunal in Berlin vier weitere oberste Gerichtshöfe, darunter einer für das Rheinland, einer für Posen und einer in Greifswald für den ehemals schwedischen Teil Pommerns,84 denn dieser behielt den eigenen traditionellen Gesetzeskodex, eigene Institutionen kommunaler und städtischer Selbstverwaltung und eigene städtische Verfassungen.85 Auch das Rheinland hatte es sich ausbedungen, das vergleichsweise liberale System der lokalen Verwaltung, das von den Franzosen eingeführt worden war, zu behalten.86 Durch die Anwendung des Allgemeinen Landrechts in den meisten anderen Provinzen wurde die große Vielzahl der lokalen Gesetze und Bestimmungen überdeckt. Das Emanzipationsedikt vom 11. März 1812 wurde beispielsweise nicht auf die 1815 erworbenen Provinzen ausgedehnt, sodass die Juden des Königreichs unter sage und schreibe 33 verschiedenen Gesetzeskodizes lebten. Eine Kreisbehörde sprach davon, der Staat habe – zumindest auf diesem Gebiet – vor den Provinzen und Regionen kapituliert.87

Preußen war im Jahr 1840 in Bezug auf Gerichtsbarkeit und Verwaltung nicht mehr so homogen wie noch im Jahr 1813. Das kann nicht genug betont werden, weil Preußen immer wieder als das Musterbeispiel eines zentralisierten Staates angesehen wird. Dabei war es ja gerade das Ziel der kommunalen Reformen Steins gewesen, Befugnisse an ein allgemein bewundertes System der städtischen Selbstverwaltung zu delegieren. Selbst das konservativere revidierte Stadtrecht, das 1831 in Westfalen eingeführt wurde, verschaffte den Städten eine größere Autonomie als unter dem napoleonischen System.88 In der gesamten Nachkriegsära nahmen die Organe des Zentralstaates eine ehrerbietige Haltung gegenüber den Granden der preußischen Provinzen ein. Und die Provinzeliten bewahrten sich ein starkes Bewusstsein ihrer eigenen Identität, insbesondere an der östlichen und westlichen Peripherie, was noch dadurch verstärkt wurde, dass zwar jede Provinz einen eigenen Landtag hatte, das Königreich jedoch keinen. Die Einrichtung der Provinzialstände mit dem Allgemeinen Gesetz vom 5. Juni 1823 steigerte also die Bedeutung der Provinzen auf Kosten des preußischen Staatswesens. Ostpreußen sei nicht »nur eine Provinz«, wurde einem Besucher in Königsberg 1851 mitgeteilt, sondern ein eigenes Land.



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